Die Brüder Adalbero und Kiso waren die ersten, uns namentlich bekannten welfischen Dienstleute, die in der Mitte des 12. Jahrhunderts im Auftrag ihres Herrn, Herzog Welf VI., auf der Neuburg saßen. Zwar adelig, aber persönlich unfrei, mußten die Ministerialen ihren Herren nicht nur unbegrenzt Dienst leisten, sondern auch deren Zustimmung etwa bei der Verehelichung einholen, man vererbte, verschenkte oder vertauschte sie. Diese Schicht unfreier ritterlicher Adeliger bildete den Kern des militärischen Potentials des hohen Adels, hatte Burghuten inne, amtierte als Vögte, als Richter. Woher Adalbero und Kiso stammten, ist ungewiß, vielleicht aus dem Stammland der süddeutschen Welfen um Ravensburg.
Nach dieser ersten Nennung zweier Bewohner bzw. Inhaber der Neuburg schweigen die Quellen für beinahe ein Jahrhundert. Erst 1240 nennt eine Urkunde zwei Brüder, Friedrich und Heinrich, die das Prädikat ,,von Neuburg“ führten.*1 Ob sie mit ihren Vorgängern aus dem 12. Jahrhundert verwandt waren, wie immer wieder postuliert wurde, muß allerdings dahingestellt bleiben. Diese jüngeren Neuburger sind in der urkundlichen Überlieferung leicht erkennbar an ihrem Übernamen ,,Tumb“ (in lateinischen Texten: stultus), der tatsächlich nichts anderes bedeutet als ,,einfältig“.
Die Tumb stammten allem Anschein nach ebenfalls aus der welfischen Dienstmannschaft und fielen mit dieser an die Staufer. 1188 nennt eine Urkunde Hainricus Tumbo als ersten dieses Geschlechtes, das dann in weiterer Folge in den Jahren vor 1240 in den Besitz der Neuburg gelangte, in dem sie für mehr als ein Jahrhundert – bis zum Jahr 1363 – verbleiben sollte. *2
Die Neuburger Fehde:
Die mächtige Position, die der reichsritterliche Adel – die Neuburger, Schellenberger und Emser – auch nach dem Untergang der Staufer auf Vorarlberger Boden, besonders in strategisch wichtiger Lage im Rheintal, einnahm, war den durch mehrere Erbteilungen geschwächten Grafen von Montfort und von Werdenberg, die verfassungsrechtlich auf derselben landesherrlichen Ebene standen wie ihre niederadeligen Konkurrenten, ein Dorn im Auge. Die Besitzungen der Tumb von Neuburg beschränkten den Aktionsradius der Grafen aus der Linie Montfort-Feldkirch ganz erheblich. Der Riegel von Koblach und Götzis schnürte ihren Herrschaftsbereich von Norden her ein, und selbst in der unmittelbaren Umgebung der montfortischen Stadt Feldkirch waren die Neuburger begütert: Sie besaßen dort den Burgstall Blasenberg, Einkünfte aus Gallmist, zinspflichtige Hofstätten in Illbrugg (Feldkirch-Heiligkreuz) sowie das Patronat über die Kirche in Tisis. Südlich der Stadt am Eschnerberg saßen die Schellenberger.
Im Frühjahr des Jahres 1311 entschlossen sich daher Graf Rudolf III. von Montfort-Feldkirch, er war Geistlicher, Graf Hugo von Montfort-Bregenz und Graf Hugo von Werdenberg zu einem militärischen Schlag gegen ihre reichsritterlichen Widersacher. Sie belagerten die Neuburg und gingen gegen den Besitz der Tumb in St. Gerold vor, wobei auch die Propstei verwüstet oder gar zerstört wurde.*3 Die Tumb von Neuburg und mit ihnen wohl auch die Schellenberger erlitten eine schwere Niederlage gegen die montfortisch-werdenbergische Koalition, die damals zu ihrer Unterstützung die Walser als Wehrkolonisten in den gebirgigen Landesteilen ansiedelte,*4 Die Tumb verloren vor allem die Landstraße, die von der Neuburg nach Götzis verlegt wurde, mit dem finanziell interessanten Warenniederlagsrecht, auch die Burg Neumontfort bei Götzis entstand auf Neuburger Boden. *5 Andere Rechte, wie das Patronat über die Kirche Tisis, gingen gleichfalls nach und nach verloren. *6
Der Verkauf der Herrschaft Neuburg an Österreich 1363
Im Laufe der Jahre wurden die Folgen der Niederlage von 1311, die allerdings unvergessen blieb, nach und nach überwunden. Die gesellschaftliche Rolle der Tumb von Neuburg entsprach ihrer politischen Stellung. Sie standen in Heiratsbeziehungen mit den hochadeligen Grafen von Montfort und gelangten in den Pfandbesitz eines Teiles der Herrschaft Feldkirch, darunter in den der Feste Neumontfort. *7
Nach der Mitte des 14. Jahrhunderts stellten sie sich jedoch in einem Streit zwischen den Grafen von Werdenberg und den Feldkircher Montfortern auf die Seite ersterer und begaben sich in den ausdrücklichen Schutz des Reiches, damals repräsentiert durch Kaiser Karl lV.
Als Hugo Tumb von Neuburg im Winter 1362 unvorsichtigerweise nach Feldkirch kam, ließ ihn Graf Rudolf von Montfort, trotz naher Verwandtschaft – Rudolf war Hugos Onkel – und des kaiserlichen Schutzes, den Hugo genoß, im Haus eines Feldkircher Bürgers überfallen und inhaftieren. Anschließend zog der Graf vor die den Neuburgern verpfändete Neumontfort, die sich ergeben mußte. Zwar einigten sich Rudolf von Montfort und Hugo von Neuburg alsbald, woraufhin Hugo freikam. Er und sein Bruder Schwicker waren jedoch einerseits tief gekränkt und fühlten sich andererseits weiteren Auseinandersetzungen dieser Art nicht mehr gewachsen. So entschlossen sie sich zum Verkauf ihrer Herrschaft, und zwar an die Herzöge von Österreich.
Dieser Schritt war keineswegs ungewöhnlich. Seit 1337 bestand der richtungweisende ,,ewige Bund“ zwischen Montfort-Feldkirch und den Habsburgern, 1354 heiratete Graf Wilhelm von Montfort Bregenz in das habsburgische Umfeld ein und schloß 1362 einen militärischen Dienstvertrag mit Österreich, aber auch die Bischöfe von Konstanz und Chur sowie die Stadt Zürich waren mit den habsburgischen Herzögen verbündet.*8 Die Region südlich des Bodensees war also bereits habsburgischer Einflußbereich. Zu Beginn des Jahres 1363 gelang Herzog Rudolf IV. der Erwerb der Grafschaft Tirol. So paßte die Absicht der Neuburger hervorragend in die politische Konzeption Rudolfs, dem es einerseits um die Sicherung der von den Eidgenossen bedrohten habsburgischen Stammlande und andererseits um die Schaffung eines starken Territorialkomplexes im Alpenraum, der alle wichtigen Nord-Südverkehrswege kontrollierte, ging.
Graf Rudolf der III. von Montfort Feldkirch begab er sich in die Arme des Hauses Habsburg. Er bat Herzog Rudolf von Habsburg, ihn und seine Söhne Ulrich, Rudolf und Hugo zu ewigen Mannern und Dienern aufzunehmen. Diese Bitte genehmigte Herzog Rudolf.
Demgegenüber suchten die Grafen von Werdenberg und die Ritter Thumb von Neuburg Schutz bei Kaiser Karl IV.. Dieser nahm von Prag aus am 19. August 1361 .die Edlen Schwicker und Hugo, die Thumben zu Neuenburg „wegen treuen und nützlichen Dienste, die si ihm und dem hl. Reiche oft und unverdrossen gethan haben und künftighin noch thun mögen“ mit ihrem ganzen Besitze in seinen und des Reiches Schirm. *9
Im November 1362 traf Schwicker Thumb von Neuburg Johann von Platzheim in Bregenz und gelobte am 28. November 1362 für sich und seine Erben: „Dem hochgeborenen Fürsten Herzog Rudolf von Österreich, dessen Brüdern und Amtsleuten mit seiner Feste Neuburg und seinen Leuten und Gütern persönlich Zeit seines Lebens gegen jedermann dienen zu wollen. Seine Erben und Nachkommen sollten derselben Herrschaft noch sieben weitere Jahre darauf dasselbe zu thun verpflichtet sein. Würde er die Absicht haben, die Feste Neuburg mit Zubehör zu verkaufen, so verspreche er, dies dem Hause Österreich wissen zu thun, und wenn ihm dieses dafür soviel gebe, wie andere Leute, ihm dieselbe zu überlassen. Es wurde ein Schiedsgericht vereinbart für den Fall, dass man sich nicht über den Preis einigen konnte. „Sollte Schwicker Thumb diese getroffene Vereinbarung nicht einhalten, so hätte Neuburg mit allem, was dazu gehört an das Haus Habsburg zu fallen. Österreich verpflichtete sich dagegen, Schwicker Thumb in seiner Gnade und seinen Schirm aufzunehmen und ihn so zu halten wie andere seiner Diener. “ *10
Schwicker Thumb wollte also allen Ernstes seinen Besitz über kurz oder lang an das Haus Habsburg zu veräußern. Allerding starb Schwicker Thumb vor dem 7. April 1363 und hinterließ mehrere Söhne in jugendlichem Alter, für welche sein Bruder Hugo die Vormundschaft übernahm.
Hugo Thumb erschien im April 1363 zu Baden im Aargau vor dem österreichischen Statthalter und gelobte zuerst am 7. d.M. dem Herzog Rudolf IV. und dessen Brüdern zehn Jahre lang mit seinen Leuten und Festen Wälsch-Ramschwag und Mammertshofen, einem Lehen von der Abtei St. Gallen zu dienen.*11
Die Verkaufsurkunde über die Feste Neuburg und den weit überwiegenden Teil der Vorarlberger Besitzungen der Tumb wurde am 8. April 1363 in der aargauischen Stadt Baden, dem habsburgischen Verwaltungsmittelpunkt für den westlichen Territorialkomplex, ausgestellt. Hugo Tumb von Neuburg und seine Neffen Hans, Frick und Heinrich – Hugos Bruder Schwicker war inzwischen verstorben – übergaben mittels dieses Rechtsaktes den Herzögen Rudolf, Albrecht und Leopold von Österreich die Feste Neuburg mit allem Zubehör um die Summe von 3.300 Pfund Konstanzer Münze. *12
Mit dem Kauf der Herrschaft Neuburg faßte das Haus Österreich erstmals als Territorialherr auf heutigem Vorarlberger Boden Fuß,die Einigung des Landes wurde dadurch ohne Zweifel beschleunigt. Für Koblach und die Neuburg dagegen endete damit allerdings diebedeutendste Epoche ihrer Geschichte als reichsfreie Herrschaft.
Die Tumb von Neuburg verließen alsbald das Land, Hugo wurde habsburgischer Vogt zu Kyburg, später waren Linien des Geschlechtes am Hochrhein und am Neckar ansässig. Angehörige der Familie erlangten das Erbmarschallamt von Württemberg. Bis ins 15. und frühe 16. Jahrhundert sind allerdings auch noch Verbindungen zu Vorarlberg und sogar Besitz in der Herrschaft Neuburg feststellbar. *13
Die schriftlich niedergelegten Abmachungen über den Verkauf bieten eine Vielzahl von Informationen über die Herrschaft Neuburg, ihr Zubehör und ihre Bewohner.